Die „neue Welt – Unordnung“

„The new world disorder“ – diesen Aufmacher wählte der „Economist“, eines der weltweit besten Magazine aus Großbritannien, für das Titelblatt seiner letzten Ausgabe. Vor dreißig Jahren hatten wir das Ende der bipolaren Weltordnung erlebt.

Horst Teltschik
Prof. Dr. Horst Teltschik
Politiker und Wirtschaftsmanager

Sie war geprägt gewesen von den beiden nuklearen Weltmächten USA und der Sowjetunion mit ihren jeweiligen Bündnissystemen der Atlantischen Allianz und des Warschauer Paktes. Im Sommer 1991 hatte sich der Warschauer Pakt fast lautlos aufgelöst. Im Dezember des gleichen Jahres folgte die UdSSR. An ihre Stelle traten fünfzehn souveräne Republiken. Die alte Weltordnung war nach 45 Jahren friedlich zu Ende gegangen.

Es war deshalb nur folgerichtig, dass der damalige amerikanische Präsident George Bush schon 1991 die internationale Gemeinschaft dazu aufrief, eine neue Weltordnung zu schaffen. Das ist bis heute nicht gelungen, obwohl es erste Anläufe dazu gab. Anlass zu besonderer Hoffnung gab die „Pariser Charta für ein neues Europa“, die am 21. November 1990 von allen 34 Staats- und Regierungschefs unterzeichnet worden war. Sie enthielt die gemeinsame Verabredung, eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok zu schaffen. In der Charta waren die Prinzipien benannt, nach denen diese neue Ordnung ausgestaltet werden sollte und Instrumente benannt, um sie in die Realität umzusetzen. Welch` eine Vision? Doch diese Chance wurde bis heute von allen Seiten vertan.

Parallel zu diesem politischen Verständigungsprozess waren die weitreichendsten Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen unterzeichnet worden. 80 % aller Nuklearwaffen wurden vernichtet. Die B – und C – Waffen weltweit verboten und die konventionellen Truppen drastisch reduziert. Russland allein holte über 500.000 Soldaten mit ihren Waffensystemen aus Mitteleuropa nach Hause zurück – friedlich.

Heute erleben wir einen neuen und diesmal weltweiten Aufrüstungsprozess, nicht nur in den USA sondern gleichzeitig in Russland, China, Indien, aber auch im Iran, in Saudi-Arabien, in Nord-Korea u.a. Die Erosion der Europäischen Union ist im vollen Gange. Autoritäre Tendenzen nehmen in Europa und weltweit zu. Die Beziehungen zu Russland sind von Sanktionen bestimmt. China hat die Weltbühne betreten und löst neue Unsicherheiten aus. Die über Jahrzehnte erfolgreiche Politik des Multilateralismus ist gefährdet. Die Rolle der Vereinten Nationen, der Welthandelsorganisation, der Weltgesundheitsorganisation bis zur Atlantischen Allianz werden vom amerikanischen Präsidenten Trump relativiert, wenn nicht sogar in Frage gestellt. Gleichzeitig sind wir von globalen Entwicklungen bedroht. Die Gefahren von Pandemien, der bedrohliche Klimawandel, die Erosion der multilateralen Institutionen, die ungezügelte Aufrüstung, wachsende militärische Konflikte erfordern Zusammenarbeit und nicht Konfrontation, erfordern strategische Antworten und nicht kleinliche parteipolitische Rechthaberei oder individuelle Großmannssucht.

In meinem neuen Buch: „Russisches Roulette – Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden“ habe ich beispielhaft die Perspektiven und die Versäumnisse in Europa aufgezeigt. Der frühere sowjetische Generalsekretär und sowjetische Präsident Michail Gorbatschow schrieb mir in diesen Tagen dazu: "In Deinem Buch…forderst Du uns auf, endlich aus dem „Kalten Krieg“ die Lehren zu ziehen. Du schreibst, dass wir jetzt dringend eine „Neuauflage“ des Spannungsabbaus brauchen, wenn wir nicht aus der „kalten Welt“ in einen heißen Konflikt abgleiten wollen. Ich teile Deine Meinung. Dies gilt umso mehr, als nun eine neue Krise mit unvorhersehbaren Folgen – eine globale Pandemie – den Planeten getroffen hat. Lieber Horst! Ich habe Deine Freundschaft immer geschätzt und werde sie weiter schätzen…Ich schüttle Dir fest die Hand! Dein Michail Gorbatschow“.
Gorbatschow hat Deutschland und Europa geeint und die Welt verändert. Das alles vollzog sich friedlich, weil er die richtigen Partner zur richtigen Zeit im Westen hatte.


Buchveröffentlichung:
Russisches Roulette
Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden
erschienen 2019 bei C.W.Beck

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